LEIDENSCHAFT HALTERBUA
Aus dem Leben eines Viehhalters im Nationalpark Gesäuse
Auf der Schröck-Alm im Nationalpark Gesäuse lebt in den Sommermonaten der Vieh-Halter Erwin, auf gut steirisch Halterbua genannt. Das Leben als Halterbua ist für Erwin mehr Berufung als Beruf, da man von der Entlohnung für diese Arbeit nicht leben könnte. Das Entgelt für vier Monate Arbeit auf der Alm beträgt in seinem Fall 1.700,– Euro, die er inzwischen das vierte Jahr sozusagen als Taschengeld zusätzlich zu seiner Pension erhält. Die Bezahlung erfolgt durch die Gemeinschaft der Bauern, deren Tiere auf der Alm von Erwin betreut werden. Ebenso muss dem Viehhalter von der Gemeinschaft eine Hütte zur Verfügung gestellt werden. Einer dieser Bauern ist Eigentümer der Schröck-Alm Hütte die er also Erwin als Unterkunft während seiner Tätigkeit als Halterbua überlässt.
Der Dienst beginnt jedes Jahr Anfang Juni, manchmal auch etwas früher, weil Erwin sich gerne schon auf der Alm befindet, bevor die ersten Kühe ankommen. Er ist der Überzeugung, dass es für die Tiere gut sei, von einem ihnen bekannten Betreuer empfangen zu werden. Im heurigen Sommer (2014) wurden die ersten Kühe am 5. Juni auf die Alm geführt. Insgesamt 121 Kühe von zehn verschiedenen Bauern waren dieses Jahr auf den weitläufigen Almwiesen zu betreuen.
Die Liebe zum bescheidenen Leben auf der Alm – in einer Hütte ohne elektrische Stromversorgung, mit Wasser aus dem Brunnen im Freien – und die Freude an dieser naturnahen Arbeit sind für Erwins Entscheidung ausschlaggebend gewesen, als er im Alter von 58 Jahren beschlossen hatte, seinen Ruhestand aktiver zu gestalten.

Da hier auf der Alm für manche alltäglichen Verrichtungen mehr Zeit als gewöhnlich aufzuwenden ist, muss Erwin zwischen sechs und sieben Uhr früh aufstehen, um den Ofen zu beheizen, damit heißes Wasser für den Morgenkaffee zur Verfügung steht. Gegen acht Uhr geht es in Begleitung seiner Hündin Tina los zum täglichen Rundgang, jeden Tag auf eine andere Alm, da die 121 Kühe in diesem weitläufigen Gelände verstreut auf verschiedenen Plätzen weiden. Er überprüft die Vollzähligkeit sowie den Gesundheitszustand der ihm anvertrauten Tiere. Einmal in der Woche bringt er ihnen Salz mit, das er in seinem Rucksack über das steile, meist unwegsame Gelände zu hochgelegenen Almwiesen trägt. Dass die Kühe das Salz lieben, abgesehen davon, dass es für sie lebensnotwendig ist, trägt maßgeblich zu seiner Beliebtheit bei ihnen bei.
Um die Mittagszeit ist er meist wieder unten bei seiner Hütte, wo er sich ab und zu ein Mittagessen kocht. Am Nachmittag geht es noch einmal hinaus, um Pferde zu füttern oder Salz an andere Kühe zu verteilen, oder um einfach nur eine weitere Gruppe seiner zu betreuenden Tiere zu suchen und zu zählen.
Die von ihm zu betreuenden Tiere sind Fleischkühe, sogenanntes Rindvieh. Kühe werden in der Regel etwa 20 Jahre alt, bis zum Alter von 15 Jahren sind sie fähig, Milch zu geben und zu kalben. Ein Bauer schenkte einer seiner Kühe das Ableben auf der Alm, als Dank dafür, dass sie im Lauf ihres Lebens überdurchschnittlich viel Milch gegeben hatte. Sie ist 2013 mit 21 Jahren hier oben auf der Alm gestorben.
Die Tiere haben keine Namen, tragen aber – für die leichtere Zuordnung zu ihrem Heimathof – in ihren Ohren geklammerte nummerierte und farbige Erkennungsmarken. Der Halterbua aber erkennt „seine“ Kühe allein schon durch ihr Aussehen, und falls er eines Tages ein Tier mehr zählt, kann es durchaus auch sein, dass eine Kuh gekalbt hat.
Einmal pro Woche ist ein Tag für die Erledigung von persönlichen Notwendigkeiten reserviert, an dem Erwin nach Hieflau fährt, wo er zu Hause ist. Dort wird Wäsche gewaschen, werden Lebensmittel eingekauft und über Nacht die Handy-Akkus geladen, bevor es am nächsten Tag in der Früh wieder auf die Alm geht.
WAS DER TAG BRINGT
Erwin hatte mich freundlicherweise eingeladen, ihn heuer durch den Tag eines Viehhalters auf der Alm zu begleiten. Bei der Ankunft am 12. August 2014 in der Früh zeigte das Thermometer 8° C. Im Laufe des Tages regnete es in allen Variationen und die Temperatur stieg auf das Maximum von 15°C an.
Gleich bei der Begrüßung erzählte er mir, dass die Kühe der Nachbar-Alm in der Früh bei ihm herüben gewesen seien. Er meinte, dass wahrscheinlich der Zaun an einer Stelle niedergedrückt sei und deshalb repariert werden müsse. Gemeinsam mit Erika, der Nachbarin, deren Kühe Erwin den Besuch abgestattet hatten, wanderten wir über den vom Regen völlig aufgeweichten sumpfigen Boden den Zaun entlang, um zu der schadhaften Stelle zu gelangen. Bei dem mitunter steilen Aufstieg wechselten sich Erwin und Erika mit dem Tragen des neuen Pflocks ab.
Unsere Wanderung brachte die Erkenntnis, dass der Zaun in Ordnung war, also hatte vermutlich jemand das Gatter offen gelassen, worauf die von Natur aus neugierigen Kühe sich nicht die Chance entgehen ließen, die Kräuter auf der anderen Seite des Zauns zu probieren. Erwin setzte seine Qualitäten als „Kuhflüsterer“ ein und brachte die Ausreißer wieder zurück, was deshalb keine Selbstverständlichkeit war, weil Kühe nicht so ohne weiteres einem ihnen fremden Halter folgen.


Am nächsten Tag war das Wetter etwas freundlicher, in der Früh zeigte das Thermometer 11° C und anfangs schien sogar die Sonne. Im Laufe des Tages stieg die Temperatur bis auf etwa 18° C an.
Die zu betreuenden Kühe halten sich in Gruppen auf den großflächigen Bergweiden der auf 1330 hm gelegenen Schröck-Alm und sie umgebenden Almen auf. Einige wenige Kühe wandern zu höher gelegenen Wiesen auf 1800 hm. Erwin besucht die Kühe in diesem Gebiet, genannt „Am Hals“ einmal pro Woche. Diese sehr zart gewachsenen und eher dünnen Kühe sind „Spezialisten“ und fressen daher nur bestimmte Kräuter. Andere, sehr wanderfreudige Tiere wiederum sind viel in den umliegenden Wäldern unterwegs. Interessanterweise bleiben meist die Kühe ein und desselben Bauern in einer Gruppe zusammen.





Inzwischen war ich ein weiteres Mal auf der Alm bei Erwin auf einen Kurzbesuch – ich hatte Sehnsucht nach der Alm. Wieder regnete es. Ein weiterer Besuch ist geplant….diesmal aber bitte bei Schönwetter.

ALMABTRIEB
An einem der letzten Septemberwochenenden stattete ich der Alm wieder einen Besuch ab, da die Bäuerin Sandra an diesen Tagen plante, die Kühe abzuholen. Die Tiere werden in der Regel im Laufe des Septembers jeden Jahres von ihren Bauern auf der Alm abgeholt und nach Hause ins Tal gebracht. Dort steht ihnen sowohl ein offener Stall als auch eine große Weide zur Verfügung. Den Stall suchen sie jedoch nur auf, wenn es windig ist, bei Regen und Schneefall macht es ihnen nichts aus, draußen auf der Weide zu bleiben, wie einer der Bauern erklärte. Diesen Almabtrieb also wollte ich natürlich gerne miterleben, wobei hier kein Almabtrieb im traditionellen Sinn vorgenommen wird, sondern vielmehr – weil er auf Grund der großen Entfernung zu den Bauernhöfen im Tal für Mensch und Tier zu beschwerlich wäre – ein Transport der Tiere im Anhänger.

Meine Vorfreude wurde noch am Vorabend meiner Ankunft etwas getrübt, als ich von Erwin telefonisch die traurige Mitteilung über einen Unfall erhielt. Eine Kuh hatte sich an diesem Tag ein Bein gebrochen, und da es sich bei dieser Verletzung um einen offenen Bruch handelte, musste das arme Tier notgeschlachtet werden, was Erwin sehr nahe ging.
Als am nächsten Morgen, um etwa 9 Uhr die junge Bäuerin und ihre Helfer auf der Alm angekommen waren, zeigte Erwin ihnen den Aufenthaltsort der Kühe, nicht weit von der Hütte entfernt. Durch Absperrungen mit Gittern und weißen Bändern wurde ein Bereich eingezäunt, in welchem ein Anhänger für den Transport bereit stand. Geduldig und behutsam trieben die Bäuerin und ihre Helfer die Kühe durch eine Öffnung der Absperrung, um sie von dort in den Hänger zu locken, in welchem sich zur Unterstützung ein Kübel mit Futter befand. Um diese Arbeit zu erleichtern, wurde der abgesperrte Bereich kontinuierlich verkleinert, bis sich alle Tiere im Anhänger befanden.


Ich freue mich schon auf den nächsten Sommer, wo ich mit Sicherheit Erwin wieder auf der Alm besuchen werde!
Wie gerne wäre ich jetzt im Gesäuse – meiner zweiten Heimat!!!! Schöne Bilder von der bekannten Schröck-Alm …
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Das kann ich gut verstehen – geht mir ja genauso 😉
Danke dir, das freut mich!!
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